Sonntag, 19. Oktober 2014

Ein Stück aus Schilda



Sogenannte Konjunktur-Zyklen

Volkswirtschaftler und Politiker bauten auf fehlgedeuteten Rechen-Ergebnissen




Starke Stücke aus Schilda, wiewohl als solche unerkannt, sind sogenannte Konjunktur-Zyklen. Danach bewegt sich eine Volkswirtschaft in regelhaften Auf- und Abschwüngen, die sich etwa alle sieben Jahre wiederholen.

Periodische Vorgänge lassen sich als solche durch rechnerische Verfahren ermitteln, die man Fourier-Transformationen nennt. Voraussetzung dafür ist, daß Zahlen-Reihen vorliegen, die als Indikator für einen zeitlichen Ablauf wie der Gang der Konjunktur vorliegen. Dazu benutzen Wissenschaftler aus den Anwendungs-Gebieten der Mathematik meist vorgefertigte Programme in Gestalt von Software-Paketen, die sich durch einige Maus-Klicks ausführen lassen.

Die Beurteilung der Ergebnisse verlangt jedoch öfter zusätzliche Kenntnisse zu dem Verfahren, über die Anwender selten verfügen. Fourier-Transformationen werfen unter gewissen Umständen Frequenzen aus, die ein regelmäßiges Geschehen mit langer Periode nahe legen, aber auf sehr kurzfristigen Vorgängen beruhen. Diese Erscheinung heißt Maskierung oder Denglisch „Aliasing“. Sie hat unkundige Forscher bei der Beurteilung von Konjunktur-Daten auf die falsche Fährte gelockt.



Auf dem Holzweg

Es leuchtet jedermann ein, daß der Gang der Wirtschaft eine wöchentliche, also sieben-tägige Periode aufweist. Am Samstag und Sonntag sind die Börsen geschlossen. Auch anderwärts ruht vielfach die Arbeit. Untersucht man einen mehrjährigen Zeitraum auf Regelhaftigkeiten, so tritt die Arbeitswoche maskiert als Sieben-Jahrs-Rhythmus auf. Mit dem mathematischen Verfahren offenbar unzureichend vertraute Volkswirtschaftler schlossen daraus irrtümlich auf einen Zyklus der Konjunktur mit siebenjähriger Periode.
Als der Sozialdemokrat Karl Schiller von 1966 bis 1972 Minister der ersten großen Koalition der Bundesrepublik Deutschland war, berief sich die Regierung mehrfach auf den mutmaßlichen Zyklus. Somit wurde eine der größten Volkswirtschaften der Erde jahrelang mit Maßnahmen gelenkt, die auf Verkennung von Rechen-Ergebnissen beruhten. Gründete sich der Glaube doch einzig darauf, daß am Wochenende meist nicht gearbeitet wird.


Professor Karl Schiller, Bundesminister  für Wirtschaft und Finanzen, erster Superminister der Bundesrepublik Deutschland (Foto Bundesarchiv)

Man hielt es für geraten, Täler der Konjunktur durch vermehrte Staatsausgaben zu vermeiden. Bei Aufschwüngen galt es die Gelder wieder abzuschöpfen. Davon versprach man sich einen ausgeglichenen Gang der Geschäfte. Dank des damaligen, recht robusten Wirtschaftswunders überstand das Land die Maßnahmen ohne erkennbare Schäden.

Sogenannten Verstandes-Menschen dürfte ein solches Stück aus Schilda vielleicht unglaubhaft vorkommen. Es findet sich indessen mindestens ein nachprüfbarer Niederschlag im mathematischen Schrifttum. Zweifler können sich davon bei Rainer Schlittgen und Bernd Streitberg überzeugen. In ihrem Buch „Zeitreihenanalyse“(als link), erschienen 1991 in München, finden sich auf Seite 49 entsprechende Hinweise.

Regel oder Ausnahme

Bei solchen Fehlleistungen handelt es sich keineswegs um seltene Ausnahmen, wie mancher womöglich annehmen könnte. Statistische Daten unterliegen vielmehr in der Regel irrtümlichen, aber auch absichtlichen Mißdeutungen. Die Ursachen sind indessen selten bei den Statistikern zu suchen. Deren Handwerk kennzeichnet ein hochanständiges und äußerst gewissenhaftes Vorgehen. Politiker sind in dieser Hinsicht weniger pingelig.

So hatte der Freidemokrat Rainer Brüderle als Wirtschaftsminister einer schwarzgelben Koalition von 2009 bis 2011 eine Studie über Kranken-Versicherungen in Auftrag gegeben. Davon erhoffte er sich ein vorteilhafteres Bild der privaten gegenüber den gesetzlichen. Das Gegenteil kam dabei heraus. Also sperrte Brüderle das Papier in den Giftschrank.

Zu seinem Leidwesen erschien eine Kopie der Studie auf der Weltnetzseite von Wikileaks. Wahlspruch: „Wir zeigen es den Politikern“. Dort konnte sich jedermann das Dokument herunter laden.

Bei derart willkürlichem oder auch nachlässigem Umgang mit Zahlen und Aufstellungen verwundert es wenig, wenn Wirtschafts-Theorien selten ihr Papier wert sind, auf dem sie stehen. Um das zu erkennen braucht man kein Statistiker oder Mathematiker zu sein. Ausreichend darüber verrät ein Blick auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Das Land gilt als Hochburg des Kapitalismus. Die Nobel-Preise für Volkswirtschaft wandern mit großer Regelmäßigkeit dorthin.
Zugleich stecken die USA bei der Volksrepublik China bis zum Anschlag in der Kreide. Das Reich der Mitte ist ausgerechnet das Land mit der straffsten und obendrein kommunistischen Planwirtschaft. Ja, ja, heißt es dazu. Aber die Chinesen verunreinigen die Umwelt so sehr. Doch das machen die Amerikaner auch. Beim Ausstoß von CO2 liegen sie unbestritten weltweit an der Spitze.
Opfer der Ölpest von 2010: Verschmutzte Pelikane (Foto International Bird Rescue)

Vor ihrer Haustür kam es zur größten Ölpest der Geschichte, als im April 2010 die Bohr-Plattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko  geschätzte 800 Millionen Liter Rohöl austraten.



Aus dem Kaffeesatz gelesen

Auch die täglichen Börsenberichte im Fernsehen kommen vielen Zuschauern wie Kaffeesatz-Leserei vor. Dort versuchen Berichterstatter Auf- oder Niedergang des Dax oder einzelner Aktien-Kurse an allerlei Wirtschafts-Meldungen fest zu machen wie Auftragslage der Industrie oder Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt. Auch politisches Geschehen wird für Plus und Minus verantwortlich gemacht.
Besonders erheiternd wirken die Klimmzüge der Reporter, wenn die mutmaßlichen Daten der Konjunktur einheitlich nach oben zeigen und zugleich die Börse in den Keller geht. Dann ist von Gewinn-Mitnahmen die Rede, weil angeblich Ängste vor einem jähen Abbruch der Schön-Wetter-Lage umgehen.
Makler an der Neu Yorker Börse (Foto fr.wikipedia)

Es ist indessen kein einziges wissenschaftlich Verfahren bekannt, das einen Zusammenhang von Börsenkursen mit den genannten Ereignissen belegt. Nach der Lehre von der Wahrscheinlichkeit bildet das Auf und Nieder vielmehr eine Irrfahrt, Denglisch „Random Walk“ genannt. Danach entwickeln sich die Kurse sogar ohne Bezug zu dem bisherigen Verlauf. Das heißt, eigentlich weiß niemand, ob Nennwerte der Papiere wegen besagter Rahmenbedingen steigen, fallen oder sich ganz unabhängig davon bewegen.
Ein triftiger Grund könnte vielmehr darin bestehen, daß eine Holding einen unliebsamen Mitbewerber zu Grunde richten will und deshalb den Markt mit bestimmten Papieren überschwemmt oder sie aufkauft. Doch das wäre dann das berüchtigte „Insider“-Wissen, das zu nutzen sträflich oder mindestens verpönt ist.

copyright©2014 Volker Wittmann

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